Unternehmen.
Niemand außer der Gemeinschaft selbst
profitiert von der Weiterentwicklung und
Vermarktung des Browsers. Ist es unter diesen
Voraussetzungen überhaupt denkbar,
dass ein Unternehmen wie beispielsweise
Microsoft den Open Source Gedanken sinnvoll
in sein Marketing integrieren kann?
Eines
ist klar: Kein Kunde lässt sich wohl
freiwillig vor den Karren eines privatwirtschaftlichen
Unternehmens spannen, dessen einziges Anliegen
es ist, dadurch geschickt Kosten zu sparen.
Wer die Macht des Open Source im Marketing
nutzen will, muss geschickter und vor allem
intelligenter Vorgehen.
Open Source Marketing heißt umdenken
Das Beispiel Mozilla zeigt eindrucksvoll,
wie das Potential der Massen effizient
eingesetzt werden kann. Damit dieses Potenzial
aber auch von privatwirtschaftlicher Seite
nutzbar gemacht werden kann, ist ein grundsätzlicher
Einstellungswandel im Umgang mit dem eigenen
Produkt und seiner Vermarktung notwendig.
Klassische Massenkommunikation verliert
an Zugkraft
Seit Mitte der 80er Jahre wird die Massenkommunikation
immer ineffizienter. Anzeigen werden einfach
überblättert, Plakate ignoriert
und in der Fernsehwerbepause wechseln viele
Konsumenten den Sender oder gehen einfach
aufs Klo. Das immer wichtiger werdende Pull-Medium
Internet tut dem Effizienzverlust
dabei sein übriges. "Verlorene
Jungs" - ein Wired Artikel[4]
von Ende letzten Jahres - zeigt dies bestechend.
Eine der Kernzielgruppen von Fernsehwerbern
(Männer zwischen 18 und 34 Jahren)
hat ihren Fernsehkonsum z.B. allein im letzten
Jahr um 12% eingeschränkt.
Interessant
für das Marketing ist es natürlich
herauszufinden, was diese Zielgruppe
stattdessen macht. Und was macht sie? Sie
surft im Internet auf Pornoseiten, lädt
sich Musik und Videos herunter, bietet bei
Auktionen mit und liest online Sportartikel
- in genau dieser Reihenfolge.
Man
braucht kein Marktforscher zu sein, um zu
erkennen, dass mit der ständig zunehmenden
Informations- und Reizüberflutung
in naher Zukunft klassische Werbung noch
seltener wahrgenommen wird.
Die
Frage ist daher: Was kommt in Zukunft überhaupt
noch bei den Konsumenten an? Auch hierauf
hat der Wired Artikel eine Antwort parat.
Besonders großen Erfolg haben
mittlerweile Kampagnen, die auf Hochglanzoptik
und Ernsthaftigkeit zu Gunsten von authentischen,
amateurhaft-kundennahen und lustigen Elementen
verzichten. Ein Beispiel hierfür ist
das australische Bier "Blowfly",
dessen Vermarktung Liam Mulham zusammen
mit Tausend Biertrinkern gemeinsam entwickelt
hat (vom Design der Flasche, über die
Verpackung bis zur Art der Auslieferung)
[5]. Viele andere
Unternehmen wie etwa DaimlerChrysler in
den USA trennen sich ebenfalls von klassischen
Traditionen und binden den Kunden immer
stärker in das Marketing mit ein [6].
Open Source heißt "Loslassen"
können
Wenn also zukünftige Eigenschaften
des Marketing: Authenzität, Humor
und Aufrichtigkeit heißen, macht
es dann nicht Sinn dies mit Hilfe der Kunden
zu erreichen? Auf jeden Fall. Dafür
bedarf es aber eines ganz neuen Umgangs
mit dem klassischen Marketing insgesamt:
Weniger Beschränkungen zu Gunsten von
freien Ideenaustausch und geringere Planungssicherheit
zu Gunsten einer stärkeren Kundennähe.
Im
Sinne des Open Source Gedanken sind:
-
Marketing Materialien nicht mehr vom Copyright
geschützt, sondern frei für
Kunden unter einer "Creative Commons"
Lizenz[7]
zugänglich.
- Derivate
oder Weiterentwicklungen von Anzeigen,
Texten, Logos, etc. werden vom Unternehmen
nicht nur erlaubt, sie werden sogar von
ihm gefördert.
-
Das Bloggen über das eigene
Unternehmen und seine Produkte seitens
Dritter ist nicht nur gewünscht,
sondern die Regel.
-
Kostenlos stehen auf der Unternehmens-Site
nicht nur fertige Spots oder Banner zum
Download bereit, sondern auch alle Vorprodukte
dieser wie etwa Storyboards, Basisanimationen,
Texte oder Sound Files.
- In
Foren, Chats und Blogs können
alle relevanten Bestandteile des Marketing
diskutiert und kritisiert werden.
Open
Source Marketing für privatwirtschaftliche
Unternehmen heißt also vor allem "Loslassen
können". Die Zielgruppe darf
nicht nur, sie soll das eigene Marketing
mit Ergänzungen, Weiterentwicklungen,
Parodien oder Kritik verbessern können.
Die negative Seiten von Open Source Marketing
Die Argumente gegen Open Source Marketing
sind verständlicherweise die gleichen
wie gegen Open Source Software. Hauptstreitpunkt
ist auch hier die Zukunftsfähigkeit:
Gegner meinen Open Source Marketing schaffe
Durchschnittlichkeit auf Kosten von Innovation.
Kein Unternehmen würde das Risiko eingehen,
kostenintensiv Marketing-Ideen und -Materialien
zu entwickeln, wenn jeder - inklusive der
Konkurrenten - diese einfach kopieren, gebrauchen
und sicherlich auch missbrauchen dürfte.
Nur der rechtlich gesicherte Wettbewerb
zwischen Unternehmen habe die Fähigkeit
langfristig Innovationen hervorzubringen.
Abbildung 5: Missbrauch ist eine häufig
befürchtete Folge von Open Source Marketing
(Quelle: tilak.twoday.net)[8]
Befürworter
von Open Source argumentieren hingegen damit,
dass Menschen geschlossene Systeme und Lösungen
hassen. Wann immer möglich möchten
sie die Freiheit der Wahl haben.
Sie wollen beispielsweise kein Betriebssystem,
dass bestimmte Funktionen und Anbieter kategorisch
ausschließt. Sie wollen einfach nicht
das letzte Glied in einer Kette sein und
das akzeptieren müssen, was sie vorgesetzt
bekommen.
Übertragen
aufs Marketing lehnen Kunden also Werbung
auch deshalb ab, weil sie keinen Einfluss
auf sie haben. Selbst wenn Marketing-Maßnahmen
an den Erwartungen der Zielgruppe
orientiert sind, fehlt ihnen durch die mangelnden
Beteiligungsmöglichkeiten dennoch
ein entscheidender Erfolgsfaktor: Authenzität.
Dieser Nachteil kann auch nicht durch noch
so große Marktforschungsanstrengungen
weggemacht werden.
Welche
Auffassung (negativ oder positiv) im Sinne
des Open Source Marketing eher die Realität
trifft, ist schwer zu sagen. Fest steht
nur, dass das traditionelle Marketing im
Wandel begriffen ist. Letztlich muss
sich jedes Unternehmen vor Augen führen,
dass im digitalen Zeitalter die Kopie, Verfremdung
und Parodie von Marketing-Materialen sowieso
nicht zu verhindern sein wird - wie das
Beispiel in Abbildung 5 zeigt. Siemens hat
sein Giga-Set mit Sicherheit nicht freigegeben.
Open
Source Marketing bedeutet schließlich
auch nicht, schlicht und einfach auf seine
Urheberrechte zu verzichten, sondern vielmehr
von Beginn an, die Meinung seiner Kunden
zu kennen und schätzen zu wissen
- und das nicht nur in Form von Hotlines
und großzügigen Rückgaberechten.
Open Source heißt, den Community Gedanken
zu leben. Und sei es nur, dass man wie AquaComputer[9]
keine Angst vor den Meinungen seiner Kunden
hat und ein unabhängiges Forum als
Kernfunktionalität in seine
Website integriert.
Und seien
wir mal ehrlich: Der Kunde entscheidet doch
schon seit jeher, was funktioniert und was
nicht. Ist es deshalb nicht an der Zeit
ihn auch in die kreativen Marketing Prozesse
einzubeziehen? Viele Marketing Experten
predigen seit Jahren mehr Interaktivität
und Kundennähe. Doch die Umsetzungsergebnisse
sind mehr als dürftig. Es ist langsam
an der Zeit, eine neue Ära des
Austauschs mit dem Kunden einzuläuten.
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