Unsicherheit
und einer Vielzahl von Optionen der Aufwand
für das Gehirn eine Entscheidung zu
treffen, enorm steigt. Menschen haben deshalb
über Generationen hinweg Verhaltensmuster
zur Komplexitätsreduktion entwickelt.
Diese gelernten Schemata laufen heutzutage
quasi automatisch ab. Doch gerade das reaktive
Verhalten bietet wiederum viele Möglichkeiten
zur Manipulation.
Wer die Handlungsmuster kennt und zu instrumentalisieren
weiß, dem bieten sich eine Fülle
von Möglichkeiten, das Konsumentenverhalten
gezielt zu beeinflussen. Vor allem im Internet,
wo quasi sekündlich Entscheidungen
getroffen werden müssen (klicke ich
auf den Link, oder nicht?), bieten sich
dadurch eine Vielzahl von Gestaltungsoptionen.
Ein
Experiment
In
der psychologischen Fachliteratur gibt es
viele Beispiele, die die verkürzten
Gedankenvorgänge im Rahmen der
Entscheidungsfindung im Gehirn verdeutlichen.
Das folgende Experiment zeigt dies sehr
anschaulich.
Fertig?
Los...
Denken
Sie sich eine Eissorte
Stopp.
Was
haben Sie jetzt gemacht? Sind Sie im Geiste
alle Ihnen bekannten Eissorten durchgegangen?
Mit
Sicherheit nicht. Wahrscheinlich waren es
vier oder fünf Geschmacksrichtungen
- nicht mehr.
Doch
warum hatte Ihr Kopf schon vorher eine Auswahl
der interessanten Varianten für
Sie vorgehalten?
Anders
als man vielleicht zunächst denken
würde, hat das Gehirn nicht etwa die
Eissorten vorgeschlagen, die es mag, sondern
genau das Gegenteil. In dem Bruchteil einer
Sekunde hat es alle Varianten ausgeschlossen,
die es als uninteressant empfand.
Das
gleiche passiert, wenn Sie an der Theke
einer Eisdiele stehen und sich für
drei unterschiedliche Kugeln Eis entscheiden
müssen. Auch hier schließen Sie
Schritt für Schritt alle Sorten aus,
die für Sie nicht in Frage kommen.
Die Qual der Wahl
An
der Eistheke zeigen sich jedoch auch die
Unterschiede zwischen der stark und der
schwach kognitiven (willentlich gesteuerten)
Entscheidungsfindung.
Je
mehr Alternativen ein Mensch wahrnimmt,
aus denen er entscheiden muss, desto bewusster
wird der Entscheidungsprozess und
desto größer wird auch der Aufwand
des Eliminierens von unpassenden Varianten.
Die Betonung liegt dabei auf der Wahrnehmung.
Wie das obige Experiment zeigt, ist es für
jeden von uns innerhalb von Sekunden möglich,
eine oder zwei Lieblingseissorten zu nennen.
Nehmen wir jedoch 20 unterschiedliche Sorten
wahr (wie im Eisladen), so wird aus dem
schwach willentlichen Entscheidungsprozess
eine stark kognitive und somit sehr bewusste
und langwierige Angelegenheit.
Das
paradoxe an der Sache: Wir genießen
es gar nicht, die Entscheidung zu treffen.
Die "Qual" der Wahl ist uns häufig
lästig. Gerne würde wir von Anfang
an wissen, welche Eissorte wir wählen,
oder welches Auto wir kaufen sollen und
uns einfach nur gut dabei fühlen.
Es
ist ein echtes Dilemma: Wir wollen
zwar Entscheidungsfreiheit, haben wir sie
schließlich, sind wir aber auch nicht
wirklich glücklich. Die bewusste Entscheidungsfindung
zieht nämlich fast zwangsläufig
einen anstrengenden und häufig langwierigen
Prozess des Nachdenkens und Eliminierens
nach sich.
Kaufentscheidungen, Evoked Sets und "Top
of Mind" Awareness
Eine
große Alternativenmenge führt
natürlich auch bei Kaufentscheidungen
zu den gleichen Problemen. Je mehr Varianten
für das Gehirn zu eliminieren
sind, desto aufwendiger wird der Entscheidungsprozess.
Vor allem im Internet, wo neben den Produkteigenschaften
noch Lieferzeiten, Zahlungsmodalitäten,
Rückgabemöglichkeiten und das
Vertrauensverhältnis zum Händler
bedacht werden müssen, wächst
die Alternativenmenge schnell exponentiell.
Das führt nicht selten dazu, dass Konsumenten
verwirrt sind oder den Kauf eines Produkts
aufschieben, um mehr Zeit zum Überlegen
zu haben. Eine verheerende Folge für
eine Website, wenn man bedenkt, dass der
Nutzer womöglich nach seinen Überlegungen
das ursprüngliche Internetangebot nicht
mehr wiederfindet und bei der Konkurrenz
bestellt.
Ebenso
wie jeder die Frage nach einer Eissorte
innerhalb von Sekunden beantworten kann,
hat aber auch fast jeder Nutzer - abhängig
vom Produkt oder der Dienstleistung - eine
konkrete Vorstellung von guten Marken, akzeptablen
Lieferzeiten oder der passenden Bezahlform.
Diese subjektiv spontan erinnerte und für
relevant erachtete Alternativenmenge wird
im Marketing als "Evoked Set"
(dt. ungefähr = in die Erinnerung gerufene
Auswahl) bezeichnet[1]. Die spezifischen
Marken, Produkte oder Eigenschaften der
jeweiligen Auswahl bezeichnet man - bildlich
gesprochen - als "Top of Mind".
Total
Set und Evoked Set im Vergleich
Evoked Sets im Marketing
Je
häufiger man mit seiner Website beispielsweise
in Rahmen der Benutzerfreundlichkeit bestehende
Evoked Sets, also individuelle Alternativenmengen
anspricht, desto geringer ist die Chance,
dass es zu Konsumentenverwirrtheit oder
einem Entscheidungsaufschub kommt. Wer beispielsweise
den Aufbau seines Online-Shops nach den
Erwartungen seiner Zielgruppe gestaltet,
verhindert schon auf der ersten Stufe (beispielsweise
beim "Betreten" des Shops) extensive
Gehirntätigkeiten und verbessert damit
das Einkaufserlebnis.
Man
muss jedoch nicht zwingend immer die Evoked
Sets seiner Zielgruppe treffen. Der Clou
ist, dass man die Auswahlzusammensetzung
der "Top of Mind" Objekte
gezielt durch die vorgegebene Anzahl an
Optionen beeinflussen kann. An einem Beispiel
lässt sich dies anschaulich verdeutlichen:
Mit
Sicherheit ist Ihnen bei einer persönlichen
Feier schon aufgefallen, dass man die Getränkewünsche
seiner Gäste manipulieren kann.
Stellt man die Frage "Bier oder Wein?",
dann entscheiden sich die meisten für
eine der beiden Alternativen. Ähnlich
verhält es sich auch noch bei drei
Auswahlmöglichkeiten. Stellt man dem
Gast jedoch vor die Wahl "Bier, Wein,
O-Saft oder Rum-Cola" zu trinken, dann
werden Sie feststellen, dass der Gefragte
erstens wesentlich länger für
seine Entscheidung braucht und zweitens
(viel wichtiger) etwas ganzes anderes wählt
als vorgeschlagen. Probieren Sie es selbst
einmal aus. Es ist wirklich verblüffend:
Ab 3-4 Auswahlalternativen wird aus einer
spontanen eine stark willentlich gesteuerte
Entscheidung, die - durch die Vielzahl an
unterschiedlichen Getränkewünschen
- auch einen noch so gut vorbereiteten Gastgeber
in arge Bedrängnis bringen kann.
Dass
die Menschen so handeln ist aber nur logisch:
Wird die Menge der individuell als "sicher"
vorgehaltenen Alternativen überschritten,
so interveniert die willentliche Steuerung
des Geistes. Die Gefahr ist einfach zu groß,
dass das reaktive Verhalten zu einer Fehlentscheidung
führen könnte.
Um
einfache und schnelle Entscheidungen zu
begünstigen, darf sich die wahrgenommene
und die relevante Alternativenmenge (Evoked
Set) also nicht gravierend unterscheiden.
Tut Sie es dennoch, führt dies zwangsläufig
zu längeren Entscheidungsprozessen
und womöglich zu einem Entscheidungsaufschub.
Im Klartext heißt das: Bei allen nebensächlichen
Entscheidungen in den vorgegebenen Alternativen
möglichst Evoked Sets zu treffen. Dass
das bei den vielen Meinungen und Haltungen
in der Gesellschaft sehr schwierig ist,
liegt auf der Hand. Die Lösung: Möglichst
immer den kleinsten gemeinsamen Teiler finden:
Der Einsatz von Evoked Sets in der Praxis
Wie
man Evoked Sets am sinnvollsten in der Praxis
nutzt, lässt sich am Beispiel des Internet
Marketing veranschaulichen. Hier
ein paar exemplarische Anwendungsgebiete:
Der
Anfang - die Startseite
Wenn ein potentieller Kunde eine für
ihn neue Website besucht, was mag da sinnvoller
sein: Ihn mit 10 unterschiedlichen Möglichkeiten
des Fortfahrens zu konfrontieren
oder nur drei Alternativen zu bieten? Klar,
um den Geistesaufwand möglichst gering
zu halten, ist für neue Besucher weniger
mehr. Sinnvoll ist in diesem Zusammenhang
beispielsweise einen gut sichtbaren Link
anzubringen, der neuen Nutzern den Weg weist
("Neu auf xyz.de? Hier starten Sie
am besten")
Wichtig
ist es auch, Standards in der Benutzerführung
einzuhalten. Doch wie sehen diese aus: Wo
erwarten die Nutzer die Navigation, wie
sollte sie aufgebaut sein, welche Namen
sind für welche Rubriken die Verbreitesten
und welche technischen Standards sind auf
Nutzerseite wirklich akzeptiert? Fragen
wie diese lassen sich nur durch umfangreiche
repräsentative Studien beantworten.
In den USA ist Jakob Nielsen (useit.com)
führend auf diesem Gebiet[2]. In Deutschland
veröffentlicht das Göttinger Unternehmen
eresult regelmäßig Ergebnisse
zu den "Evoked Sets" beispielsweise
im Rahmen des Wording, der Online-Werbemittelgestaltung
oder dem Website-Aufbau[3].
Online-Shops
Betritt man als Besucher einen Online-Shop,
so wird der Nutzer häufig gleich auf
der ersten Seite mit einer großen
Auswahl neuer Produkte konfrontiert. Auf
den Unterseiten zu einzelnen Kategorien
sieht es meist nicht anders aus. 10-20 Produkte
werden dem Nutzer vorgestellt, um die große
Auswahl zur Schau zu stellen. Sinnvoller,
um die Menschen nicht gleich zu Beginn ins
Grübeln zu stürzen, wäre
es, allerdings nur maximal drei Vorschläge
zu präsentieren, die bei ausreichend
großem Sortiment durchaus auch rotieren
können.
Wie es nicht aussehen sollte, zeigt der
Notebook-Hersteller Acer[4]...Man beachte
vor allem die aussagekräftigen Produktbeschreibungen
(Vergrößern)
Erleichternd
wirken auch Themen und Kategorien bezogene
Top 10 bzw. Bestsellerlisten. Diese
zeigen den Besuchern schon gleich beim Betreten
eines neuen Bereichs, was andere Menschen
für gut empfunden haben.
Zahlungsmodalitäten
Auch wenn es an die Bezahlung geht, machen
viele Online-Shops den Fehler, den Nutzer
vor 5 oder mehr unterschiedlichen Zahlungsoptionen
zu stellen. Seine Kunden viele Möglichkeiten
zu bieten, die Bestellung zu zahlen, ist
natürlich vorbildlich. Jedoch
ist es ineffizient den Nutzer gleich mit
allen auf einmal zu konfrontieren. Kommt
ein Konsument erst einmal ins Überlegen,
welche der Bezahlformen nun am sichersten
ist, entfernt er sich schon wieder vom eigentlichen
Ziel - der Bestellung. Sinnvoller kann es
sein nur die zwei am häufigsten genutzten
Varianten anzubieten und alle anderen unter
einem dritten Menüpunkt ("weitere
Zahlungsformen") zusammenzufassen.
Erst wenn der Nutzer hierauf klickt, werden
ihm die anderen Optionen wie Faxbestellung,
Vorauskasse, etc. vorgestellt.
Cross-
und UpSelling
Wer schon einmal bei Amazon.de eingekauft
hat, der erinnert sich bestimmt daran, was
passiert, wenn man einen Artikel in den
Warenkorb legt. Genau, das Online-Warenhaus
leitet einen zu einer Übersichtsseite
von durchschnittlich 9 Produkten weiter,
die andere Kunden gekauft haben, die auch
den ausgewählten Artikel bestellt haben[5].
Relativ klein auf der rechten Seite findet
sich der Button "zur Kasse". Diese
Vorgehensweise nennt sich Cross- bzw. Upselling
(je nachdem welche Art von Produkten angeboten
werden). Die Idee ist ziemlich clever
- führt man dem Kunden doch kurz vor
der Kaufentscheidung noch interessante Produkte
vor Augen, die wissentlich andere Käufer
ebenfalls in einem "Bundle" bestellt
haben. Aus psychologischer Sicht kann die
Vielzahl von vorgeschlagenen Produkten jedoch
auch das Gegenteil zu Folge haben, wenn
nämlich der Kunde eher seine Entscheidung
aufschiebt, weil die Anzahl an Alternativen
noch einmal eine Phase des Überlegens
bedingt (beispielsweise wenn verwandte Produkte
die ursprüngliche vorherige Kaufentscheidung
in Zweifel ziehen). Dass muss nicht
bei 80% der Kunden der Fall sein. Es reichen
jedoch hingegen schon 20%, die ihre Kaufentscheidung
aufschieben und dann womöglich die
Produkte in einem klassischen Ladengeschäft
kaufen. Um die Potenziale des Cross- und
UpSelling dennoch konsequent zu nutzen,
ist es sinnvoller beispielsweise nur eines
oder zwei (rotierende) Angebote zu präsentieren.
Die
vorangegangenen Beispiele geben nur einen
Einblick in die Bedeutung und den praktischen
Einsatz von Evoked Sets im Marketing. Analysieren
Sie einmal selbst die Austauschprozesse
mit Ihren den Kunden. Vielleicht bieten
auch Sie Ihren Nutzern an den falschen Stellen
zu viele Alternativen und Optionen. Manchmal
ist weniger einfach mehr. Nicht nur um den
Geistesaufwand Ihrer Kunden zu senken,
sondern auch um das Einkaufserlebnis zu
erhöhen. Wer weniger über Nebensächliches
nachdenken muss, fühlt sich einfach
wesentlich besser.
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